Ressourcen – das Herzstück unserer Stabilität (1)
Bei der Bewältigung und Verarbeitung unserer traumatischen Erfahrungen spielen unsere Ressourcen eine ganz wichtige Rolle; also all das, was uns guttut, uns ein Gefühl von Sicherheit und Halt gibt, uns Freude bereitet, uns zur Ruhe kommen lässt, uns hilft, unsere Anspannung oder Wut abzubauen oder uns ermöglicht, unseren Kopf freizubekommen.
Unsere Ressourcen stärken uns und helfen uns, unser Inneres zu stabilisieren und unseren Körper zu regulieren. So hilft uns z. B. manche Musik uns zu beruhigen und andere uns zu beleben. Wenn wir unsere Ressourcen bewusst nützen, können wir bemerken, dass sie in uns positive Gefühle und angenehme Körperempfindungen hervorrufen; so können wir durch sie u. a. Halt und Sicherheit oder Zuversicht und Vertrauen erleben.
Ressourcen stellen ein Gegengewicht zu unserer Traumatisierung und ihren Folgen dar; sie wirken diesen entgegen, federn sie ab, gleichen sie aus und lassen uns das Erlebte eher ertragen, bewältigen und verarbeiten. Und sie bereichern uns und machen unser Leben bunter, lebendiger und erfüllter.
Deshalb ist es so hilfreich, der Frage nachzugehen, welche Ressourcen wir denn haben. Im ersten Moment schrecken wir vielleicht vor dieser Frage zurück, weil wir glauben, nur wenige oder gar keine Ressourcen zu haben. Wenn wir aber der Frage genauer nachgehen und im Alltag erkunden, was es denn in unserem Leben gibt, was uns guttut, beruhigt, Freude bereitet etc., dann entdecken wir zumeist, dass wir über viel mehr Ressourcen verfügen, als wir dachten.
Ressourcen können alles Mögliche sein; ganz „kleine“ Dinge oder Momente, wie das Riechen an einer Rose, das Fühlen der Wärme der Sonne in unserem Gesicht oder der Genuss eines Cappuccinos. Oder „größere“ Dinge oder Momente, wie z. B. eine schöne Wanderung, ein Kinobesuch oder ein auspowerndes Work-out. Oder „große“ wie eine Freundschaft oder der Abschluss einer Ausbildung.
Unsere Ressourcen können wir im Außen und in unserem Inneren entdecken.
So können im Außen z. B. die Natur, unser Lieblingsort, ein Freund oder eine Freundin, unsere Familie, unser Hund oder unser Zuhause für uns Ressourcen sein. Manchmal sind es auch kleine Dinge im Außen wie unser Lieblingskleidungsstück oder ein Talisman. Oft sind es Aktivitäten oder Hobbys wie z. B. Laufen, Singen oder Kochen. Für manche von uns ist Musik eine Ressource oder ein Theaterbesuch, für andere karitative Tätigkeiten oder das Engagement in einem Verein.
Zu unseren inneren Ressourcen zählen unsere Talente, Fähigkeiten und Stärken wie z.B. unser Mut, unser Humor oder unsere Ausdauer. Auch unsere Liebe zu jemandem oder etwas, oder unsere Freude an jemandem oder etwas sind innere Ressourcen. Oder schöne Erinnerungen und Erfahrungen, die wir gemacht oder Herausforderungen, die wir gemeistert haben. Auch positive innere Bilder bzw. Imaginationen, bekräftigende oder beruhigende Gedanken sowie Leitsprüche und Affirmationen können für uns Ressourcen sei. Dazu können auch unsere Ziele, Pläne und Visionen zählen. Oder auch unsere innere Verbindung zu einem Verstorbenen oder einer Ahnin, oder zu einer geistigen bzw. spirituellen Wesenheit oder Kraft. Schließlich können auch unsere spirituellen Zugänge bzw. unser Glaube, und Gebete oder Meditationen für uns innere Ressourcen sein.
Eine ganz besondere Ressource stellt unser Körper dar. Beispielsweise wenn wir mit unseren Sinnen wahrnehmen und z. B. die Wärme der Sonne auf unserer Haut spüren oder ein Stück Schokolade auf unsere Zunge zergehen lassen. Oder wenn wir uns bewegen und dabei unseren Körper als lebendig, kraftvoll oder leicht wahrnehmen.
Wenn wir bewusst eine Ressource erleben (z B. tanzen) oder uns diese bloß vorstellen (z.B. unseren Lieblingsort) oder in uns eine schöne Erinnerung wachrufen, können wir dabei in unserem Körper zumeist eine angenehme Empfindung spüren; z.B. eine Wärme in unserem Bauch, eine Weite in unserer Brust oder eine Lebendigkeit in unserem gesamten Körper. Diese Empfindungen können für uns wiederum eine Ressource sein.
Jede einzelne Ressource, die wir nützen, ist für uns unterstützend und hilfreich; wenn wir sie aber bewusst erleben und die mit ihr verbundenen positiven Gefühle und körperlichen Empfindungen wahrnehmen, können wir ihre unterstützende Wirkung noch verstärken.
So macht es einen merklichen Unterschied, ob ich eine Ressource wie z.B. Singen oder Laufen bloß ausführe, oder dabei bewusst die durch sie hervorgerufenen angenehmen körperlichen Empfindungen und Gefühle wahrnehme. Oder wenn ich einfach an eine schöne Erinnerung denke, oder mir diese innerlich vergegenwärtige und dabei die mit ihr verbundenen guten Gefühle und Körperempfindungen wieder wachrufe und spüre. Erinnern wir uns etwa an einen Strandspaziergang so ist das fein; vergegenwärtigen wir uns aber auch das Rauschen des Meeres, die Wärme der Sonne auf unserer Haut, den warmen sandigen Boden unter unseren Füßen, den Wind, der durch unsere Haare streicht, die Weite, die wir vor uns sehen, so ist das ein umfassendes, ganzheitliches und damit erfüllendes Erleben.
Dieses ganzheitliche Erleben – also das bewusste Erleben einer Ressource und der Gefühle und Körperempfindungen, die wir dabei spüren, ist eine der wirksamsten Möglichkeiten, um uns (wieder) stabil bzw. stabiler zu fühlen. Diese bewusst und intensiv erlebten und verkörperten Ressourcen wirken direkt auf unser Nervensystem und beruhigen oder beleben uns. Wenn wir sie regelmäßig wiederholen, verfestigen sich in uns nach und nach unsere positiven Erfahrungen und Zustände und tragen dazu bei, stabiler und gefestigter zu sein.
Deshalb ist es so wichtig, dass wir unsere Ressourcen in unseren Alltag integrieren, uns für sie etwas Zeit nehmen und sie regelmäßig, am besten täglich, nutzen und erleben (tatsächlich oder in unserer Vorstellung). Dadurch werden sie noch wirksamer und selbst in kritischen Momenten, z.B. bei großer Angst oder Unruhe, eher bzw. leichter abrufbar.
Manchmal haben wir Ressourcen, die aus gesundheitlicher Sicht nicht günstig sind, wie z.B. Zigaretten, Alkohol, Cannabis, oder intensives Fernsehen und Computerspielen. Sie sind oft die einzigen Möglichkeiten, um uns zumindest vorübergehend zu stabilisieren und z. B. zu beruhigen. In der Regel haben Suchtmittel bzw. suchtartiges Verhalten eine selbstregulierende Wirkung, indem sie uns z. B. helfen, Spannungen abzubauen, schlafen zu können oder Flashbacks zu hemmen. Wenn es uns gelingt, andere Ressourcen zu finden, die uns z. B. helfen, unsere innere Anspannung oder Wut abzubauen und uns zu beruhigen, dann können wir allmählich die „alten“ Ressourcen durch diese neuen ersetzen.
Ein erster Schritt dazu ist es, eine Zeit lang in unserem Alltag zu erkunden, was uns – im weitesten Sinne – guttut; d. h. unsere Ressourcen zu sammeln, gleich ob sie ganz „klein“ (z. B: der Duft von frischem Kaffee) oder „größer“ sind (z. B. ein Spaziergang oder Telefonat mit einer Freundin). Ideal ist es, wenn wir uns dafür ein schönes Buch oder Heft zulegen, um alle Ressourcen, die wir entdeckt haben, darin aufzuschreiben und festzuhalten; dadurch werden sie uns zum einen noch deutlich bewusster. Zum anderen können wir dadurch in schwierigen Momenten oder Krisen eher auf sie zurückgreifen.